Christkind ohne Hybris

Seinen neuen Beinamen „Wunder-Willi“ hört Willi Reimann nicht allzu gern. Der Trainer des Bundesliga-Aufsteigers Eintracht Frankfurt bleibt Realist und nennt den Klassenerhalt als Ziel

aus Frankfurt TOBIAS SCHÄCHTER

Das schüttere Haar glatt nach hinten gekämmt, ein Allerweltsgesicht, auf dessen Nase eine unaufdringliche Brille sitzt, ein weißes Poloshirt, das Bäuchlein verhüllend, eine beige Stoffhose, die dünnen O-Beine umschlingend, und die Füße von weißen Slippers beschützt: Der, dem sie in Frankfurt ein Wunder zuschreiben, wirkt ziemlich gewöhnlich. Und dennoch ist dieser Prototyp des Buchhalters jener Mann, den sie Wunder-Willi tauften, weil er die totgesagte Diva Eintracht aus den Niederungen der Zweitklassigkeit dahin zurückführte, wohin sie nach ihrem Selbstverständnis auch gehört: in die erste Liga des deutschen Fußballs.

Die Frankfurter Eintracht hat zur Saisoneröffnung geladen, und um keinen Spieler scharen sich die Autogrammjäger so zahlreich wie um den Trainer. Willi Reimann ist Kult. Der 53-Jährige ist an einem 24. Dezember geboren und nicht nur deshalb für die Eintracht-Fans so etwas wie das Christkind. Sein Signum scheint begehrter zu sein als der gute, alte Äbbelwoi an diesem heißen Sonntag, dem letzten vor Beginn der 41. Fußballbundesligasaison. „De Willi lernt heit schreiwe“, ruft einer, worauf Willi Reimanns Gesicht eine Regung zeigt, die man als Lächeln, aber auch als Drohung interpretieren könnte. So genau weiß man das nie bei ihm. Der Westfale hält nichts von großen Worten. Stattdessen wiegelt er gerne ab. Den Aufstieg sieht er entgegen hiesiger Meinung keinem Wunder geschuldet, sondern harter Arbeit.

Viele sind gekommen im Schatten der Bauruine Waldstadion, um die neue Eintracht zu sehen. Doch pünktlich zum Bundesligastart am Freitag bei den Bayern und nach einer für Frankfurter Verhältnisse harmonischen Saison, die in allerletzter Sekunde in einem Finale Furioso den Aufstieg bescherte, präsentiert sich das Umfeld des Bundesligagründungsmitglieds wie eh und je: chaotisch und skandalumwittert. Als Aufsichtsratschef Jürgen Neppe die Verpflichtung von Torwart Markus Pröll aus Köln kritisierte und es Neppe zudem nicht gelang, den Leverkusener Wolfgang Holzhäuser als Nachfolger des scheidenden Vorstandsvorsitzenden Volker Sparmann zu verpflichten, polterte der kompromisslose Reimann aus seinem Urlaubsort in Sylt medienwirksam: „Ich lasse mir meine Arbeit nicht kaputtmachen!“ Neppe solle sich gefälligst raushalten, riet Reimann und fragte außerdem, wo Neppe denn gewesen sei vor einem Jahr, als die Eintracht fast in die Regionalliga durchgereicht worden wäre.

Damals half nur eine Bürgschaft der Landesbank Hessen-Thüringen, die der hessische Ministerpräsident Roland Koch vermittelte. Neppe ist noch im Amt. Im Gegensatz zu Reimanns Freund Sparmann. Dessen Posten ist nach wie vor vakant. „Die Besetzung einer so wichtigen Position muss gut überlegt sein“, spielt Reimann die seltsame Führungslosigkeit herunter. Und als wäre alles nicht schlimm genug, durfte der Trainer Details seines neuen Vertrages in einer Zeitung lesen. 500.000 Euro würde Willi Wunder im Falle des Titels einstreichen, so stand zu lesen. Doch an Meisterehren glaubt weder Reimann noch sonst jemand in der Hauptstadt der Hybris. Der Trainer, der trotzdem „gestiegene Erwartungen“ spürt, nennt den Klassenerhalt das einzige, realistische Ziel.

Eine Mannschaft mit Teamgeist coacht er, die gänzlich ohne spielerischen Glanz reüssierte. Der mit 23 Millionen Euro bescheidene Etat ließ keine großen Sprünge zu bei den einstigen Prassern aus der Bankenmetropole. Ein, zwei Kracher, wie von Exboss Sparmann angekündigt, sucht man vergeblich unter den acht, zumeist ablösefreien Neuen. Dennoch ist Reimann guten Mutes: „Wir sind in der Breite besser besetzt und haben uns in allen Bereichen verstärkt.“ Besonders die Offensivkräfte Nico Frommer und Du-Ri Cha, Sohn des ehemaligen Eintracht-Stars Bum-Kun Cha, gefallen ihm. Eine Stammformation hat er noch nicht gefunden. Der letzte Test gegen Absteiger Nürnberg ging verloren. Und viele fragen: „Wie will Reimann mit dieser Mannschaft drinbleiben?“

„Die Spieler sind heiß. Sie wollen es ihren Kritikern zeigen“, antwortet Reimann. Der Mann, der in allen Umfragen als erster Kandidat für eine Trainerentlassung gilt und darüber nur mit den Schultern zuckt, sieht Freiburg, Rostock, Gladbach und Köln „keinen Deut besser“. Auch eine Niederlage am Freitag mache nicht alles kaputt. Um den Abstieg zu verhindern, „genügt es nicht, nur zu kämpfen, kämpfen, kämpfen“, weiß Reimann. Neben einer spielerischen Steigerung bedarf es vor allem der Ruhe im Umfeld. Aber das wäre dann doch ziemlich ungewöhnlich in Frankfurt und fast ein Wunder.